27. Juli 2023 jannik

Jan Fantl

Jan Fantl mit Gernot Endemann, Tiffy und Herrn von Bödefeld, 1986. Jan Michael Fantl (geboren am 11. Juni 1954 in Prag) ist ein deutscher Regisseur, Filmproduzent und Unternehmer. 1986 inszenierte er 32 Episoden der Sesamstraße in einer modernisierten Neukonzeption, die bis 1988 ausgestrahlt wurde und für die er gemeinsam mit dem US-amerikanischen Puppenbauer Kermit Love u.a. Herbert Langemann als Samson besetzte. Im selben Jahr führte er außerdem bei zwei Folgen von Hallo Spencer Regie.

Ich möchte unterhalten und viele Menschen erreichen. Egal, was ich erzählen will. Aus diesem Grund bin ich aus Deutschland weggegangen. Ich bin verpflichtet, das Geld so einzusetzen, dass möglichst viele Menschen die Botschaft verstehen. Defacto ist das im Moloch Hollywood einfacher, da Sie dort von nichts anderem reden. Es gibt in Hollywood zahlreiche Filme, auch ernsthafte, die problematische Stoffe auf unterhaltsame Weise erzählen.

(Jan Fantl, Oktober 20141) )

Biographie

Fantl wurde in der tschechoslowakischen Hauptstadt Prag geboren und wuchs ab 1957 im niedersächsischen Göttingen in West-Deutschland auf. Sein Vater war der tschechisch-deutsche Filmregisseur Thomas Fantl (*1928-†2001) aus Prag, der im Holocaust die Konzentrationslager Theresienstadt, Buchenwald und Ausschwitz überlebte. Nachdem man ihm in der Tschechoslowakei ein Arbeitsverbot erteilte, emigrierte er mit seiner jungen Familie in die Bundesrepublik, um zunächst als Lektor und Dramaturg und schließlich als freier Regisseur für Film und Fernsehen zu arbeiten. Seinem Sohn Jan wurde die große Liebe zum Kino in die Wiege gelegt, da er als Kleinkind oftmals mit ins Atelier genommen wurde und so früh mit Dreharbeiten, aber auch als junger Zuschauer mit zahlreichen Spielfilmen in Berührung kam. Bereits Ende der 1950er Jahre stand er als Komparse an der Seite von Heinz Erhardt vor der Kamera, als sein Vater den Regisseur Hans Müller bei „Drillinge an Bord“ assistierte.2)

Ursprünglich wollte Jan Fantl Anwalt werden, nahm dann jedoch zunächst mehrere Praktikantenstellen, die ihm sein Vater beim Film ermöglichte, wahr und wirkte schließlich nach seinem Abitur freiberuflich an zahlreichen Produktionen der Bavaria Film in München mit. Für die Studio Hamburg Atelier GmbH, bei der sein Vater ebenfalls viel Fernsehregie gemacht hatte, arbeitete er danach ebenfalls mehrfach als Aufnahmeleiter und Regieassistent. Außerdem assistierte er dem Regisseur Hajo Gies bei zahlreichen Spielfilmen und „Tatort“-Folgen; ihre Zusammenarbeit erreichte mit dem Schimanski-Kinofilm „Zahn um Zahn“ 1984 einen Höhepunkt. Er wurde darüberhinaus als Regieassistent u.a. von Wolfgang Petersen, Franz Peter Wirth und Peter Adam engagiert.

Erste eigene Regiearbeiten setzte Fantl in den 1980er Jahren für ARD-Vorabendserien um. Als er 1986 als Regisseur für die Sesamstraße engagiert wurde, war Fantl bereits als Autor, Regisseur und Produzent in Werbung und Industriefilm tätig, was Ende der 1980er Jahre zum Schwerpunkt seiner Arbeit wurde.

Als Filmproduzent etablierte er sich im Laufe der 1990er Jahre; insbesondere als Line Producer. Er produzierte den isländischen Film „Tár úr steini“, der 1995 für eine Nominierung in der Oscar-Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ vorgeschlagen wurde, und den erfolgreichen RTL-Fernsehfilm „Der Clown“.3) Seit 1997 ist er außerdem unternehmerisch tätig, zunächst u.a. mit seiner Firma Q&Q Medien. 2001 gründete er schließlich die QI Quality International und spezialisierte sich zunehmend darauf, Hollywood-Produktionen nach Europa zu holen: Er drehte zB. „Beyond the Sea - Musik war sein Leben“ (2004) mit Kevin Spacey im Studio Babelsberg und in Berlin sowie die deutsch-tschechische Hollywood-Koproduktion „A Sound of Thunder“ (2005).

2014 war er Juryvorsitzender des Göttinger Kurzfilmfestivals.4)

Fantl bei der "Sesamstraße" und bei "Hallo Spencer"

Die mit Jan Fantl befreundete Produktionsleiterin Inga Pudenz (bei Studio Hamburg) wurde 1985 damit beauftragt, die Herstellung einer modernisierten Neukonzeption der deutschen "Sesamstraße" für den NDR zu leiten, nachdem die Serie eine zweijährige Drehpause hatte. Zwischen 1984 und 1985 liefen u.a. Wiederholungen der 1977 bis 1983 produzierten Folgen mit Lilo Pulver, die ARD-Quoten seien jedoch zurückgegangen, sodass die Arbeitsgemeinschaft eine „Totalrenovierung“ der Sendung in Auftrag gab. Die neue Produktionsleiterin Pudenz schlug der NDR-Redaktion Fantl, der bereits mehrfach im Studio Hamburg gedreht hatte, als „jungen 'wilden' Regisseur, der von der 'Action' kam“ vor.5)

Jan Fantl mit dem Cast der "Sesamstraße", 1986.

Studio Hamburg schlug mich vor, ich wurde zum NDR eingeladen und es gab gehörige Vorab-Zweifel, ausgerechnet mir die Zügel für diesen Umbau in die Hand zu geben. Bei den Job-Interviews mit Jürgen Weitzel und Angelika Paetow muss ich in der Lage gewesen sein, zu überzeugen, dass mein Konzept in Richtung “Action” mehr als Begriff für Gleichzeitigkeit und Handlungsorientiertheit, denn als “Krach-Bumm” zu verstehen war. Und dass mein Konzept vorsah, die Stimmung so zu gestalten, dass Mutti oder ältere Geschwister “hängen bleiben” und letztlich gerne mit vor dem Fernseher sitzen bleiben. Heute heißt das in Kino und TV “Family Entertainment”.

(Jan Fantl, August 20156) )

Der leitende Redakteur Jürgen Weitzel engagierte Fantl als Regisseur der 32 neuen Episoden. In Zusammenarbeit mit den NDR-Redakteuren und mit Inga Pudenz besetzte er u.a. seine damalige Lebensgefährtin Hildegard Krekel und Gernot Endemann als die neu eingeführten menschlichen Hauptcharaktere Bettina und Schorsch. Im Zuge der „Grundsanierung“ wurden außerdem neue Puppenspieler für Samson und Tiffy von Fantl und dem New Yorker Puppenbauer Kermit Love (vom Muppet Workshop) über mehrere Wochen gecastet und anschließend trainiert.

Kermit Love reiste an, er war (..) der Puppeteer Star von Jim Henson. Aber einer der Theater, Ballett und Puppen entworfen hatte, als wir alle nocht nicht geboren waren. Ich dagegen ein junger Regisseur im Norden, aber mit einem Ruf wie Donnerhall als 1st AD auf großen Filmproduktionen. Aber Kermit wiederum fragte mich zum deutschen Expressionismus an deutschen Bühnen, Piscator, Gropius und dem Weg zur Tiefenschärfe in der Kultur mal eben so ab, während wir 60 Puppenspieler vor uns beim warm machen zusahen. Kermit cool. Aber Kermit mochte mein Konzept von der Puppe in der dritten Dimension und löcherte mich unablässig, wie ich das anstellen wolle, dass eine Puppe ohne Unterleib quer durch die Dekoration “laufe”. Was uns zu einer ganzen langen Nacht brachte, darüber zu diskutieren, was Tiffy denn überhaupt für einen Gang hätte, wenn sie denn gehen könnte.

(Jan Fantl, August 20157) )

Fantl und Love besetzten die Puppenspieler Herbert Langemann, Karime Vakilzadeh und Marita Stolze. Die Produktionsleitung nahm Langemann unter Vertrag, obwohl seine HIV-Diagnose eine Ausfallversicherung verhinderte; ab Mai 1986 drehten sie danach mehrere Wochen im Studio Hamburg unter der redaktionellen Aufsicht von Weitzel und Angelika Paetow und arbeiteten außerdem beim Dreh einzelner Folgen mit Benita Steinmann, Maria Happel und Wilhelm Helmrich zusammen. Mit Winfried Debertins Leonie Löwenherz (hier Leonie Löwenzahn genannt) trat eine weitere nicht vom Muppet Workshop sondern in Deutschland hergestellte Puppe in zwei Folgen auf. Regisseur Fantl empfand die unerprobte Puppe jedoch als „technisch und künstlerisch unausgereift“ sowie als „Versuch selbstgefälliger Demonstration“ und erteilte Debertin ein Studioverbot.8)

Die ARD sei nach Angaben von Fantl zufrieden mit der unter seiner Regie produzierten Sesamstraße gewesen, jedoch führten „Querelen (..) um die Machtverhältnisse in der Redaktion“ dazu, dass der NDR erneut eine zweijährige Drehpause einlegte. Für "Hallo Spencer" führte Jan Fantl danach erneut unter der Herstellungsleitung von Inga Pudenz in zwei Folgen Regie. Er inszenierte Peter Podehls Drehbücher zu "Sturm im Dorf" (086) und "Kasi braucht Hilfe" (087), wobei letztere Episode unvollendet blieb und zum Gedenken an Herbert Langemann auch nie fertiggestellt wurde.

Filmografie (Auswahl)

Dies ist eine Auflistung einiger Produktionen, an denen Fantl als Regieassistent, Regisseur oder als Produzent mitwirkte.

Kino- und Fernsehfilme

  • „Planübung“9) (1977)
  • „Ruhe sanft, Bruno“ (1983)
  • „Zahn um Zahn“ (1985)
  • „Mesmer“ (1994)
  • „Tränen aus Stein“10) (1995)
  • „Der Clown“ (1996)
  • „Die Diebin“ (1998)11)
  • „The Musketeer - Der junge D'Artagnan“12) (2001)
  • „Keine gute Tat“ (2002)
  • „Beyond the Sea - Musik war sein Leben“13) (2004)
  • „A Sound of Thunder“14) (2005)
  • „Tristan & Isolde“ (2006)
  • „Slave“ (2012)
  • „Taxi“ (2015)

Fernsehserien

  • „Tatort“ (1977-1987)
  • „Jauche und Levkojen“15) (1978-1980)
  • „Sesamstraße“16) (1986)
  • „Martial Arts X-treme“ (2006)

Privatleben

Jan Fantl lebte zwischen 2008 und 2011 in seiner Heimatstadt Prag und anschließend in London und in Berlin, wo er auch hauptsächlich arbeitet. In den 1980er Jahren war er Lebensgefährte der Schauspielerin Hildegard Krekel; aus ihrer Beziehung stammt die 1987 geborene Tochter Kim Sarah Fantl.

Weiterführende Artikel

1)
im Interview mit Marie-Therese Gewert
2)
Vgl. Gewert, Marie-Therese: Interview mit Jan Fantl. Hollywood in Göttingen, in: Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 31.10.2014.
3)
Die Erstausstrahlung am 03.11.1996 sahen ca. 10,06 Millionen Fernsehzuschauer.
4)
Quelle: hna.de (Stand: 15.05.2023)
6) , 7)
im Interview mit Julian Schlichting (Quelle: sesamstrassen-fanclub.de (Stand: 15.05.2023)
9)
Regie und Drehbuch: Wolfgang Petersen
10)
Originaltitel: „Tár úr steini“
11)
mit Udo Kier
12)
unter der Regie von Peter Hyams, mit Tim Roth
13)
von und mit Kevin Spacey
14)
unter der Regie von Peter Hyams, mit Ben Kingsley, Heike Makatsch und Armin Rohde
16)
u.a. mit Hildegard Krekel, Herbert Langemann und Karime Vakilzadeh