1. April 2024 jannik

Matthias Hirth

Matthias Hirth, 2015. Matthias Hirth (geboren am 28. August 1958 in Regensburg1)) ist ein deutscher Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller, sowie als langjähriger Puppenspieler verschiedener Charaktere bei Hallo Spencer bekannt. Er spielte von 1982 bis 1988/89 den Quietschbeu Karl-Otto, übernahm ab 1984 zusätzlich die Rolle des Lexi und seit Folge 188 spielte er als Nachfolger von Wilhelm Helmrich die Hauptfigur Elvis. In den Max-und-Molly-Folgen von 1987 war er außerdem der Puppenspieler von Protzikowsky und seit 1983 von Nero.

Heute lebt und arbeitet Hirth in München, wo er als Mitbetreiber der Szenebar Favorit unterschiedlichste Lesungen und Programmreihen organisiert und sich als Mitbegründer der Initiative Monokultur München kritisch mit der Kulturpolitik der bayerischen Landeshauptstadt auseinandersetzt.

Über Kunst verfügt man nicht, man kann nur ein Feld anberaumen, wo sie sich ereignet, oder eben nicht. Mit Glück stellt sich etwas Unerwartetes, wirklich Neues ein. Wichtig an der Kunst ist, dass sie frei ist, auch von Zwecken. Je mehr Instrumentalisierungen sich Künstler*innen unterwerfen, desto mehr besteht die Gefahr, dass die Kunst ihre spezifische Energie verliert und nichts mehr herauskommt, was einen verblüfft oder was man nicht schon wüsste. Kaum jemand wagt gerade darauf zu vertrauen, dass seine Kunst schlauer sein könnte als er selbst.

(Matthias Hirth über die heutige Bedeutung von Kunst, Dezember 20212))

Biographie

Hirth wuchs seit Mitte der 1960er Jahre in München auf. Nach seinem Abitur, welches er 1979 am humanistischen Karlsgymnasium im Stadtteil Pasing absolvierte, begann er als Schauspieler und Regisseur in der freien Münchner Theaterszene zu arbeiten. Einige Jahre war Matthias Hirth Ensemblemitglied und u.a. gemeinsam mit Eva Behrmann Leiter des linkspolitischen Theater in der Kreide (TIK) in München-Neuperlach. Anschließend nahm er Schauspiel-Engagements am Landestheater Tübingen3) sowie am Theater im Turm in Frankfurt am Main wahr, inszenierte am Schauspiel Frankfurt das Gertrude-Stein-Projekt „Kriege/Erzählen“ und arbeitete parallel 12 Jahre lang bis Mitte der 1990er Jahre als Puppenspieler für den NDR. Es folgten Einladungen seiner Theaterarbeiten zu nationalen und internationalen Festivals. Seine Inszenierung von Michael Seyfrieds Stück „Reinschlagen“ wurde 1989 bei den Bundesdeutschen Theatertagen in Moskau gezeigt und für seine Romanbearbeitung „Quollen“4) erhielt Hirth 1991 den Phillip-Morris-Darstellerpreis.5) Bis in die 2000er Jahre arbeitete er außerdem u.a. als Sprecher für Film, Funk und Fernsehen. Ihn verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Theater- und Filmemacher sowie Gründer und Leiter des Münchner Theaters proT Alexeij Sagerer.

Darüberhinaus ist Matthias Hirth bis heute als Schriftsteller tätig und veröffentlichte in den letzten 30 Jahren zahlreiche Prosatexte, Reiseerzählungen, Beiträge für Literaturzeitschriften und Sammelbände, sowie die hochgelobten Romane „Angenehm“ (2007) und „Lutra Lutra“ (2016). Er baute außerdem den von ihm zwischen 2012 und 2014/15 geleiteten Zukunfts-Thinktank der Audi AG auf.

Karriere bei "Hallo Spencer"

Matthias Hirth mit Lexi, 1986. Von 1982 an war Hirth Teil des Spencer-Teams, zu dem seine Münchner Schauspielkollegen des Theater in der Kreide (TIK) Eva Behrmann und Joachim Hall bereits seit etwa drei Jahren gehörten. In den Folgen 26-29 der 1982er Dorfstaffel übernahm er als Puppenspieler den bisher von Jürgen Meuter gespielten Quietschbeu Karl-Otto, da Meuter sich ausschließlich auf das Spiel von Spencers Händen konzentrieren wollte. Zuvor musste Meuter als Karl-Otto oftmals in einzelnen Szenen von unterschiedlichen Spielern vertreten werden. Hirth brachte als puppenspielerischer Neuzugang erstmals eine Kontinuität in die Besetzung des Quietschbeus und entwickelte seither auch dessen Charakter maßgeblich; zB. führte er Karl-Ottos Stottern als ein neues Erkennungsmerkmal ein. Darüberhinaus assistierte er häufig anderen Puppenspielern wie beispielsweise Friedrich Wollweber als Händespieler für Poldi.

Seit der 1984er Dorfstaffel spielte Matthias Hirth außerdem den bisher mit Lorenz Claussen besetzten Lexi, ebenfalls eine Figur, die er über viele Produktionsjahre hinweg bis Mitte der 1990er Jahre stark prägte. In Folge 117: "Wer ist die Nummer 1?" lieferte sich Hirth zB. einen grandiosen Dialog mit sich selbst, als er in einer Szene sowohl Lexi als auch Karl-Otto sprach. Er spielte beide Figuren parallel bis zur 1989er Dorfstaffel und bat schließlich um eine Ablösung, was danach zur Umbesetzung von Karl-Otto mit Lothar Kreutzer führte. In der 1987er Max-und-Molly-Staffel spielte Hirth außerdem den wichtigtuerischen Knubbel Protzikowsky.

In den Folgen Maskenball (043) und Wer quatscht denn da dauernd dazwischen? (107) sowie in Faust (1983) spielte Matthias Hirth Nero.

Ab der 1992er Dorfstaffel übernahm er die Rolle des Elvis als Nachfolger seines verstorbenen Kollegen Wilhelm Helmrich. Parallel spielte er Lexi noch in einzelnen Folgen dieser Staffel, wurde aber von Lorenz Claussen, der (nach regelmäßigen Gastauftritten) im Produktionsjahr 1991 ins Spencer-Team zurückkehrte, abgelöst. Zuletzt wurde Lexi danach nochmal in den Folgen 238-249 der 1995er Magazinstaffel von Hirth gespielt. Mehr als 25 Jahre später feierte Elvis ein überraschendes TV-Comeback in der 32. Episode des ZDF Magazin „Wie Cancel Culture die Axel Springer SE kaputt macht!“. Da Hirth als Puppenspieler nicht an der Aufzeichnung der Sendung in Köln teilnehmen konnte, sprach er Elvis bloß; das Puppenspiel übernahm Winfried Debertin.6)

Andere Projekte (nach "Hallo Spencer")

Seit den 1990er Jahren ist Matthias Hirth schriftstellerisch tätig und veröffentlichte zunächst eine Sammlung von 66 Prosatexten unter dem Titel „Plantage“ bei dem Berliner Autorenverlag Druckhaus Galrev. Es folgten Beiträge u.a. für Literaturzeitschriften, sowie 2005 die Auszeichnung mit dem Literaturstipendium der Stadt München. Zwei Jahre später erschien Hirths Romandebüt „Angenehm“ im Verlag Blumenbar. Die große Resonanz auf sein Werk, welches als „exzellent recherchierter Wissenschaftskrimi und ein Plädoyer für die poetische Kraft des Erzählens“7) von der Kritik gefeiert wurde, führte zur Leitung eines Zukunfts-Thinktank für die Audi AG. Innerhalb dieses Projekts untersuchten Münchner Kunstschaffende 100 Science-Fiction-Romane sowie etliche Filme auf Perspektiven für eine zukünftige Gesellschaft, wodurch „sich die Trendforschung einer neuen Denkweise in Bezug auf die Zukunft und die Frage, wie eigentlich Zukunft entsteht, geöffnet“8) habe.

Zahlreiche Reisen führen den Schriftsteller u.a. nach Nordafrika, Marokko, Tunesien, Ägypten sowie nach Israel. Mit einem Containerschiff fährt er nach Südostasien, Malaysia und Thailand. 2002 betreibt er in Harlem, New York 14 Tage lang ein kleines Hotel. 2009 lädt das Goethe-Institut ihn auf das „Festival de las Literaturas Europeas“ nach Mexiko-Stadt ein. Außerdem bereist er intensiv die Länder des ehemaligen Ostblocks, etwa Russland, Armenien, Georgien, Rumänien und Bulgarien.

(Christopher Bertusch über Matthias Hirth9))

2016 erschien sein zweiter Roman „Lutra Lutra“ bei Voland & Quist, welcher als Bildungs-und Selbstfindungsroman, sowie als „Gesellschaftsroman über das Nachtleben und die erotischen Dunkelräume unserer Zeit“10) von der Literaturkritik anerkennend besprochen wurde und u.a. Fragen nach Geschlechterrollen, Möglichkeiten, anders zu sein, und die Lust an der Überschreitung verhandelt:

Wer sich auf Matthias Hirths Roman einlässt, wird mit einem Porträt der späten neunziger Jahre belohnt, das es so noch nicht gegeben hat. Lutra Lutra zeigt eine Zeit, die sich unschuldig angefühlt hat und in der doch die Krisen stecken, die uns noch im neuen Jahrtausend beschäftigen.

(Tino Dallmann über „Lutra Lutra“, NDR Kultur 201611))

Hirth ist Mitinitiator der Gruppe Monokultur München, einer Diskursbewegung von Kunst- und Kulturschaffenden als „Akt der Notwehr“ gegen das in München konsequent umgesetzte neoliberale Modell und das Image einer „wohlsituierten Langweiler-Stadt, in der nie etwas passiert außer der nächsten Mieterhöhung“12).

Uns geht es in unserer Arbeit darum, diese Mechanismen herauszufinden – worin dieser Kern besteht. Also nicht nur in hohen Mieten, wogegen eine Stadtverwaltung auf einem freien Markt ja nicht so viel tun kann. Und nicht nur in hohen Lebenshaltungskosten, sondern es ist eine bestimmte Mentalität, die darüber hinaus geht. […] Diese Mentalität betrifft den Geist der Stadt – dieses Konsumverhalten, das Kommerzielle, die Orientierung am Mainstream, dieses Desinteresse an abseitigeren Dingen, dieses Wohlgefühl, dieses „Mia san Mia“, dieses idyllische München, das aus Oktoberfest, Traditionalismus und Fortschritt besteht. Das ist das eine. Das andere ist: ein Künstler existiert nicht für sich alleine, sondern er braucht sein Publikum. Für abseitige Sachen, für Avantgarde, für Experimente gibt es hier kein Publikum. Die Leute hier suchen alle das, was sie schon kennen. Das mag daran liegen, dass sie von der Arbeit erschöpft sind und sich nur entspannen wollen oder an diesem Hedonismus.

(Matthias Hirth über Münchens Imageproblem, November 201813))

Privatleben

Hirth lebt und arbeitet in München. Seit Anfang der 2000er Jahre teilt er sich außerdem mit einem bildenden Künstler einen Zweitwohnsitz in Berlin.14)

Bibliographie

  • Matthias Hirth: Plantage. Druckhaus Galrev, Berlin 1994.
  • Matthias Hirth: Letzte Reise, in: Osten. In sechsundzwanzig Geschichten um die Welt. Blumenbar, München 2003.
  • Matthias Hirth: Angenehm. Erziehungsroman einer Künstlichen Intelligenz. Blumenbar, München 2007.
  • Matthias Hirth: Lutra Lutra. Voland & Quist, Berlin/Dresden 2016.

Weiterführende Artikel

1) , 5)
Vgl. Bertusch, Christopher: Matthias Hirth, veröffentlicht auf: literaturportal-bayern.de (Stand: 30.03.2024)
2)
im Interview mit Tina Rausch
4)
nach Djuna Barnes' „Nachgewächs“
7)
Zitat aus der Rezension von Peter Kesten im NDR Kulturjournal.
8)
Zitat Prof. Jan Oliver Schwarz.
10)
Dr. Falcke, Eberhard: Matthias Hirth: Lutra, lutra, SWR2 Buch der Woche, 13.06.2016.
11)
Quelle: voland-quist.de (Stand: 30.03.2024)
12)
Kraus, Florian: “Münchens Arroganz ist geradezu habituell”. Im Gespräch mit Monokultur München, veröffentlicht am 05.12.2018 auf mucbook.de (Stand: 30.03.2024)
13)
im Interview mit Florian Kraus
14)
Vgl. Rausch, Tina: Matthias Hirth. Ein Gespräch über Kunst und Subkulturen im München der 1980er bis heute, veröffentlicht auf: blog.muenchner-stadtbibliothek.de (Stand: 30.03.2024)